Sehr geehrter Herr Kollege Gerstenhöfer,
Ihre Mail vom 24.04.2010 leiten Sie mit der Frage ein, wann die SPD fordern wolle, dass „auch der Preis auf andere Waren und Dienstleistungen einkommensabhängig gestaltet wird.“ Mir ist keine Forderung der SPD in diesem Bereich bekannt. Als Vertreter einer Partei, die sich für Marktinteressen stark macht, sollten Sie wissen, dass die Politik ohnehin keinen Einfluss auf für Preissetzung für Unternehmen ausüben kann. Ihr Einstieg ist aber sehr interessant, weil deutlich wird, dass für Sie die Krankenversicherung ein Produkt wie „Brot, Wurst und Käse“ ist, für das alle den gleichen Preis zahlen sollten. Diese Auffassung teilt die SPD nicht. Es handelt sich nach unserer Meinung um ein Solidarsystem, in dem starke Schultern mehr tragen sollten als schwache Schultern.
Sozialversicherungssysteme bauen nicht auf dem Grundsatz eines Kaufladens für „Brot, Wurt und Käse“ auf sondern auf dem Grundsatz, dass wir soziale Risiken dadurch absichern, dass viele mehr in eine Krankenversicherung einzahlen, als sie herausbekommen. Und einige mehr herausbekommen, als sie eingezahlt haben. Ich hoffe, dass ich immer zur Gruppe gehöre, die mehr einzahlt, dann weiß ich, dass ich relativ gesund bin. Eine Krankenversicherung ist kein Käsebrot. Sie muss so gestaltet sein, dass jede und jeder sie sich leisten kann, sie verpflichtend ist und optimale Versorgung sicherstellt. Das ist übrigens auch der Grund warum die USA das deutsche Systems so bewundern anstelle ihres reinen privaten Systems.
Im nächsten Absatz ihrer Mail behaupten Sie, dass Mindestlöhne nicht zum System der sozialen Marktwirtschaft passen würden. Gerne zitiere ich hierzu aus dem 1946 veröffentlichte Werk „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ von Alfred Müller-Armack, das bekanntlich als Manifest der Sozialen Marktwirtschaft gilt. Hierin hat er sich klar gegen staatlich fixierte Löhne und Preise ausgesprochen. Aber er hat auch deutlich formuliert:
„Es ist markwirtschaftlich durchaus unproblematisch, als sogenannte Ordnungstaxe eine staatliche Mindestlohnhöhe zu normieren, die sich im wesentlichen in der Höhe des Gleichgewichtslohn hält, um willkürliche Einzellohnsenkungen zu vermeiden.“
Heute ist es so, dass die Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen letztlich durch den Staat bezuschusst werden, da die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz vollzeitiger Arbeit hiervon nicht leben können und sich als „Aufstocker“ den Rest zum Lebensunterhalt bei der ARGE holen. Gerne möchte ich hier die Gegenfrage anbringen: Warum soll das nach Meinung der FDP soziale Marktwirtschaft sein? Beim Thema Bürgergeld haben wir übrigens Anknüpfungspunkte. Die Rhein-Erft SPD ist der erste SPD-Kreisverband, der sich für ein Grundeinkommen ausgesprochen hat und derzeit ein Modell ausarbeitet.
Ihre dann geäußerte Vermutung, dass Zusammenhänge zwischen demografischer Entwicklung und Auswirkungen auf das Gesundheitssystem nicht bekannt seien, ist falsch. Gerne verweise ich hierzu nur beispielhaft auf die Bundestags-Drucksache 14/8800. Sie weisen korrekt darauf hin, dass die sozialdemokratische Bundesregierung unter Gerhard Schröder eine kapitalgedeckte Ergänzung der Rente ausgebaut hat. Dies war aber stets eine Ergänzung und nie ein Ersatz für die das bestehende Umlagesystem. Gerade im Hinblick auf die aktuelle Finanzkrise, in der viele tausend Menschen in den USA, in Australien und anderen Ländern ihre komplette Altervorsorge über Nacht verloren haben, ist mir kein seriöser Experte außerhalb der privaten Versicherungswirtschaft mehr bekannt, der auch für die Rente eine reine Kapitaldeckung fordert. Da Sie auf der Homepage der FDP-Elsdorf ausführlich ihren Werdegang im Hause der DKV von der Ausbildung 1986 bis zur Versetzung in die Unternehmenskommunikation darstellen, gehe ich davon aus, dass Ihnen dieser Umstand bekannt ist.
Ihre dann formulierte Frage zur Mitversicherung von Familienangehörigen in der gesetzlichen Krankenversicherung hat mit sehr gefreut. War es nicht die DKV die spezielle Angebote „exklusiv für FPD-Mitglieder“ gemacht hat? Und war es nicht Ihr Haus, dass die FDP-Mitglieder damit umworben hat, dass für FDP-Mitglieder und Mitarbeiter fünf Prozent Rabatt gebe, Vorerkrankungen – anders als üblich – nicht ausschlaggebend für die Aufnahme in die private Versicherung sei und Familienmitglieder mitversichert werden?
Die Behauptung, dass die Bürgerversicherung der SPD nur über eine Einheitsversicherung hergestellt werden soll, ist falsch. Im Gegenteil: Alle Bürger hätten endlich die Wahl, zwischen privaten und gesetzlichen Krankenkassen zu wählen. Die Trennung zwischen einem privaten und einem gesetzlichen Krankenversicherungssystem, dass sich zu einer Zweiklassenmedizin entwickelt hat, würde endlich aufgehoben werden. Mit einer Bürgerversicherung würde es zu einem echten Solidarausgleich kommen, weil alle Bürger ihre Beiträge in ein Krankenversicherungssystem einzahlen würden und von allen Einkommensarten ein Versicherungsbeitrag gezahlt werden müsste; also nicht nur vom Lohn, sondern z.B. auch auf Kapitaleinkünfte. Alle Bürger würden dann entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung unseres Gesundheitswesens beitragen. Jeder würde dann Beiträge nach der Höhe seines Gesamteinkommens zahlen, Wohlhabende könnten sich nicht mehr aus der Solidarität verabschieden. Mit der Bürgerversicherung würde die Krankenversicherung auch „demografiefest“ gemacht werden, weil die Beiträge auf alle Einkommensarten erhoben werden und nicht nur wie bisher auf den Lohn. Die Kopfpauschale dagegen ist ungerecht, weil sie unabhängig vom Einkommen erhoben wird. Die Kosten für Geringverdiener steigen und Bezieher hoher Einkommen tragen weniger bei.
Zum Abschluss erklären Sie, dass sie allen Sozialausgleich über das Steuer- und Transfersystem abbilden wollen. Und auf ihrer Elsdorfer FDP-Webseite fordern Sie für den Gesundheitsbereich ein „Privatmodell der FDP“. Mich würde interessieren, wie Sie das alles finanzieren wollen? Ihre FDP-Fraktionschefin hat diese Woche im Bundestag Steuerentlastungen von 16 bis 19 Milliarden Euro noch für dieses Jahr gefordert, gleichzeitig wollen Sie die Staatsverschuldung abbauen und Milliarden für einen Sozialausgleich wegen der Kopfpauschale aufbringen. Wie das zusammen passt, hat mir noch keiner von der FDP erklären können.
Aus meiner Sicht ist diese Quadratur des Kreises nur möglich, wenn bei der Einführung einer Kopfpauschale die Leistungen der Krankenversicherung massiv eingeschränkt werden. Die Schwachen und der Mittelstand in unserer Gesellschaft hätten dann das Nachsehen, während sich die Reichen private Zusatzversicherungen bei Ihrem Arbeitgeber oder bei anderen privaten Versicherungsunternehmen leisten könnten.
Da sie bei Ihrer Mail einen Presseverteiler gewählt hatten, erlaube ich mir, dies gleichsam zu praktizieren.
Mit freundlichen Grüßen
Guido van den Berg
Eintrag SPD Elsdorf Peter Ruhnke